Die britische Musikszene feierte ihn als Galionsfigur der Indie-Bewegung. Dabei wollte Alan McGee mit seinem Label Creation Records vor allem viel Geld verdienen. Dank Oasis hat das geklappt.
Ueli Bernays
Die längste Party der Welt dauerte ungefähr zehn Jahre. Sie fand im Kopf von Alan McGee statt, der sich tagtäglich mit Musik, Alkohol, Koks und Ecstasy zudröhnte. Und sie endete, wie konnte es anders sein, mit einem Kater samt Depression, Entzug und Therapien.
Aufstieg, Absturz und Erholung takten auch die Autobiografie «Randale, Rave und Ruhm», die Alan McGee vorlegt. In kurzatmigen Berichten und träfen Sätzen führt der schottische Musiker, DJ, Produzent und Label-Manager hier nicht nur durch seine eigene Karriere. Er durchleuchtet auch die britische Musikgeschichte von der Post-Punk- und Indie-Szene über Acid-House bis hin zu Britpop und dem Punk-Revival von Bands wie The Libertines.
Ab nach London!
Zuletzt sei seine musikalische Passion von nüchternem Geschäftssinn überlagert worden, findet McGee zwar. Aber in seinem künstlerischen Programm hatten Musik und Geld eigentlich schon immer zusammengepasst. Er wollte viel Geld verdienen mit Musik, um selbst Konzerte besuchen und Platten kaufen zu können. Auf diese Weise tauchte er tiefer und tiefer in die britische Rockszene.
Dass Geld an sich ein knappes Gut ist, hat McGee, 1960 in Glasgow in eine Arbeiterfamilie geboren, in seiner Kindheit erfahren. Luxus war ein Fremdwort. Waren die alltäglichen Bedürfnisse gestillt, reichte es immerhin für den Fussballmatch, an dem sich Glasgow-Rangers-Fans mit Celtic-Glasgow-Fans prügelten. Überhaupt wurde viel gestritten und geschlagen. Auch McGee bekam seinen Teil ab, zuerst züchtigten ihn Mutter und Grossmutter, später der Vater.
Kein Wunder, verzog er sich früh mit seiner jungen Frau und seinen Freunden nach London. Unter den südenglischen «Weicheiern» habe er angstfrei gelebt. Erst spät sei ihm aufgegangen, dass er eine nicht enden wollende Depression aus Schottland mitgebracht habe, die er nun mit Drogen zu dämpfen versuchte. Aber auch die Musik war zunächst eine Art Flucht.
Die Begeisterung für Pop hatte David Bowie geweckt. So sehr schwärmte McGee schon als Junge für den Rock-Star, dass er das Zimmer mit Bowie-Posters tapezierte und der Vater befürchtete, der Sohn sei schwul. Dass er selbst Musik zu spielen begann, lag hingegen an den Sex Pistols. Dem schnoddrigen Dilettantismus der Punks verdankte er den Mut, sich an einer Gitarre, später an einem Bass zu versuchen. Mit Freunden wie Bobby Gillespie, dem späteren Primal-Scream-Sänger, formierte er eine erste Band.
Und weil er dann gleich auch das Management der Band übernahm und sich auf der Suche nach Gigs und Geld bewährte, setzte er immer mehr auf sein Talent fürs Verhandeln und Geschäften. Er begann in London auch Kellerkonzerte zu veranstalten. Der «Communication Club» blieb 1982 noch eine ziemlich intime Angelegenheit. Als er aber 1983 den «Living Room» eröffnete, wurde das Lokal bereits zu einem Hotspot der Post-Punk-Zirkel. Und Alan McGee eilte fortan der Ruf einer glamourösen Underground-Figur voraus.
Für einen ehemaligen Eisenbahn-Kontrolleur verdiente er nun plötzlich vergleichsweise gut. Und schon bald investierte er seine beträchtlichen Einkünfte in ein Plattenlabel: Bei Creation Records sollten in den nächsten Jahren die Alben namhafter Bands wie House of Love, My Bloody Valentine, Teenage Fanclub, Primal Scream und Oasis erscheinen.
Prägend für die Anfänge des Labels aber waren The Jesus and Mary Chain. Auf die Empfehlung von Bobby Gillespie hin hatte Alan McGee ein Konzert des schottischen Quartetts besucht. Das Equipment der Musiker war so jämmerlich und das Soundsystem des Klubs so miserabel, dass die poppigen Melodien im Lärm der Rückkoppelung schwammen. Der chaotische Sound – «das wundersame Zusammenwirken einiger Desaster» – gefiel Alan McGee aber gleich so gut, dass er ihn auch auf einem Album festhalten wollte.
Obwohl The Jesus and Mary Chain Lärm eher als Nebeneffekt ihrer Musikalität betrachteten, hatten sie damit Erfolg. Dank McGees Promotion galten sie bald als «die neuen Sex Pistols». Entsprechend führten sie sich auf. Alan McGee erklärte ihre «Kunst» zu einer Form von «Terrorismus», und der Bandleader verkündete, der grösste Ehrgeiz bestehe darin, ermordet zu werden. So weit kam es zwar nicht. Aber wenn die Schotten in ihren kurzen Auftritten Krach machten und das Publikum beschimpften, dankten es die Fans mit der Zertrümmerung des Mobiliars.
Nobodys aus Manchester
Dem wachsenden Erfolg von The Jesus and Mary Chain war McGees Label irgendwann nicht mehr gewachsen. Die «Shootingstars» wechselten zum Major Warner. Alan McGee blieb vorläufig Manager der Band, die sich aber nicht in seinem Sinne entwickelte. Der Lärm der Rückkoppelung verschwand aus ihrem Sound, damit die Melodie dominierte. Gleichzeitig wurden die Konzerte länger und brav. Der Kommerz hatte offenbar obsiegt.
Creation Records galt in der Musikszene als Bastion der Indie-Kultur, was der stilistischen Ausrichtung und der Grösse des Unternehmens durchaus entsprach. Alan McGee jedoch hat sich mit der Schubladisierung schwergetan. Während er die Macht der Majors gewissermassen als naturgegeben akzeptierte, haderte er mit dem Indie-Geist. Unabhängigkeit sei schliesslich kein Genre, schreibt er in der Autobiografie. Mit seinem Ressentiment hält er nicht hinter dem Berg.
Seine Verachtung gilt insbesondere Geoff Travis, der mit seinem Label Rough Trade die Werke von Creation anfangs vertrieb. «Geoff und ich werden nie echte Kumpel sein: Seine Eltern waren reich, und mein Vater war Autoschlosser», schreibt der Prolet. Und als Rough Trade in den Neunzigern scheinbar untergegangen war, habe er sich gefreut: «Wir tanzten auf ihrem Grab. Es war, als wäre Thatcher gestorben.»
Alan McGee hat sich selber als Label-Diktator beschrieben, der seinen Willen allenfalls gegen den Protest von Mitarbeitern und Beratern durchgesetzt habe. So ging Creation Records zwar beinahe bankrott, weil My Bloody Valentine und Primal Scream die Reserven strapazierten mit langwierigen Studioproduktionen. Die Creation-Bands haben dafür Trends lanciert wie die Shoegazer-Bewegung oder die Verbindung von Acid-House mit Punk. Den grössten Coup landete Alan McGee, als er 1993 ein paar Nobodys aus Manchester unter seine Fittiche nahm: Als Oasis 1994 mit «Definitely Maybe» indes die internationalen Charts eroberten, befand sich Alan McGee von der Welt abgeschirmt im Entzug.
Der kometenhafte Aufstieg von Oasis markiert eine Schwelle im Leben von Alan McGee. Er trat sein Label zur Hälfte nun an Sony ab, um sich als millionenschwerer Privatier aus dem Business zurückzuziehen. «Als wir Erfolg hatten, zerstörten wir damit dieses Milieu des Scheiterns, das uns so erfolgreich gemacht hatte», schreibt er. Der Musik blieb er jedoch treu. Bis heute ist er als DJ oder als Bassist seiner Band Biff Bang Pow unterwegs.
Alan McGee: Randale, Raves und Ruhm. Matthes & Seitz, Berlin 2021. 361 Seiten, Fr. 36.90.
Passend zum Artikel
Ueli Bernays
Ueli Bernays
Ueli Bernays
Hanspeter Künzler
Hanspeter Künzler